„Mit Interesse haben
wir Ihren Artikel ‚Niederlage für Schulflüchtlinge‘ gelesen und
begrüßen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bremen, das den
Eltern Neubronner untersagt, ihre Söhne Moritz (12) und Thomas (9)
selbst anstatt in einer Schule zu unterrichten.
Wo würde es in Deutschland hinführen, wenn Eltern frei entscheiden
dürften, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken oder selbst
unterrichten? Welche Instanz prüft, ob die Eltern überhaupt in der
Lage sind, ihre Kinder zu unterrichten? Unsere Meinung ist, dass den
Kindern der Familie Neubronner durch den Privatunterricht bei ihrem
Vater in ihrer Entwicklung mehr Nachteile als Vorteile erwachsen.
1. Den Eltern fehlt die nötige Fachkompetenz, um ihre Kinder in
allen Fächern unterrichten zu können. In der Schule werden Schüler
von Fachlehrern unterrichtet. Kein Lehrer würde so anmaßend sein,
jedes in der Schule erteilte Fach zu unterrichten.Warum sollten
Eltern in der Lage sein, ihren Kindern den Stoff besser zu
vermitteln als dies ausgebildete Pädagogen können?
2. Thomas und Moritz haben keinen starren Stundenplan. Das wünschen
wir uns auch. Aber zur Vorbereitung auf das spätere Berufsleben
müssen sich schon junge Menschen an einen geregelten Tagesablauf
halten, dazu gehört auch das frühe Aufstehen. Wir leben nicht in
einer ‚Spaßgesellschaft‘, in der jeder machen kann, was er will.
3. In der Schule sind wir mit vielen jungen Menschen zusammen. Es
entwickeln sich Freundschaften, die den Schulalltag angenehm machen
oder zu Kontakten führen, die auch in der Freizeit von Bedeutung
sind. Durch Freunde werden wir bei Problemen unterstützt und lernen
unterschiedliche Freizeitgestaltungen kennen.
4. Wenn Kinder von ihren Eltern unterrichtet werden, erhalten sie
keine Zeugnisse. Ein Leistungsvergleich mit Gleichaltrigen ist nicht
möglich.
5. Wenn Eltern ihre Kinder unterrichten, können sie selbst keiner
geregelten Arbeit nachgehen, das heißt, sie müssen ‚arbeitslos‘
sein. Das Unterrichten der eigenen Kinder ist zeitaufwendig, in
einer normalen Familie sind die Eltern mit ihrem Beruf so
ausgelastet, dass sie sicher nicht nach ‚Feierabend‘ noch die
geduldigsten Lehrer sind. Außerdem müssten die Kinder dann am Abend,
wenn sie bereits müde sind, unterrichtet werden. Sicher ist es für
die Entwicklung der Kinder schöner, am Abend gemeinsam etwas zu
unternehmen als mit dem Vater Mathematik, Deutsch und so weiter zu
pauken.
6. Kinder, die von ihren Eltern unterrichtet werden, haben keine
Trennung von Schule und Privatleben. Ist die ‚Schulstunde‘ beim
eigenen Vater oder auch der Mutter mal schlecht gelaufen, so muss
man dann auch noch beim Abendbrot mit dem ‚Lehrer‘ am Tisch
zusammen- sitzen. Die Beziehung zu den Eltern kann also zeitweise
sehr belastet sein.
7. Viele soziale Kompetenzen können in einer Kleinfamilie nicht
erlernt werden. Teamfähigkeit ist heute im Berufsleben eine der
wichtigsten Kompetenzen. In einem Team arbeiten unterschiedliche
Charaktere zusammen, ohne Toleranz ist Teamwork undenkbar.
Wir sind froh, dass unsere Eltern uns zur Schule schicken und nicht
auf die Idee kommen, uns selbst zu unterrichten. Wir glauben, dass
Moritz und Thomas zurzeit sehr unter der Starrsinnigkeit ihrer
Eltern leiden. Sie müssen mit ihrem Vater in Frankreich leben,
während die Mutter in Bremen arbeitet. Sie vermissen ihre Freunde in
Bremen und würden sicher lieber wieder nach Deutschland
zurückkehren. Wenn beide Jungen während des Besuchs der Grundschule
Albträume, Bauch- und Kopfschmerzen hatten, so wird dies sicher
seine Gründe haben. Vielleicht sollten die Eltern mal nach den
Gründen forschen, um für ihre Söhne einen Schulbesuch zu
ermöglichen.“